Gestern Abend sind wir sehr spät von einer wirklich schlechten Theatervorstellung gekommen. Wir haben den Bus um Sekunden verpasst, genauso wie ein junger Mann, der genauso verloren aussah wie wir.
Es waren noch 30 Minuten bis zum nächsten Bus. Kurzerhand haben wir ihn mit zum Kiosk gegenüber genommen, um dort ein Kölsch (ich natürlich ein Pils!) zu trinken. Es entwickelte sich ein wirklich interessantes Gespräch mit Marcel. Sowohl am Kiosk als auch später im Nachtbus Richtung Wermels-„am Arsch der Heide“-kirchen.
Mit 16 Jahren absolvierte Marcel ein Praktikum in einer kleinen Metzgerei vor Ort. Diese Metzgerei, bei der die Tradition noch hochgehalten wird. Marcel sprach kurz und ehrfürchtig darüber: „Wenn du nicht ordentlich fertiggemacht wurdest, war das ein Lob!“
Während seines Praktikums entschied er sich, die Schule nach dem Hauptschulabschluss abzubrechen und einen Lehrvertrag zu unterschreiben. Natürlich hat er seine Gesellenprüfung mit Auszeichnung bestanden. Dann verbrachte er 6 Monate in Bayern, um dort seinen Meister zu machen. Jetzt ist er erst 20 Jahre alt und strebt nebenbei seinen Betriebswirt in der Abendschule an. Ende 2023 wird dieser junge Mann mit allem fertig sein.
Selten – und ich bin wirklich viel unterwegs und suche immer das Gespräch – habe ich einen so strukturierten, eloquenten, zielorientierten und höflichen jungen Mann der Generation Z erlebt. Dass ich das heute loswerden muss, zeigt schon, wie sehr er mich beeindruckt hat. Hier sind nur einige seiner Antworten auf meine brennenden Fragen:
Was kommt als Nächstes?
„Ich werde meinen Betriebswirt abschließen. Danach werde ich ein Jahr mit einem Freund, der ebenfalls Metzger ist, auf Wanderschaft gehen. Wir werden nach Spanien, Italien und anderen Ländern reisen. Wie funktioniert Halal wirklich? Und Israel und die Türkei werden es mir zeigen…
Bürokratie:
„Die haben alle keine Ahnung vom wirklichen Leben. In Bayern habe ich über zwei Monate von Fertigsuppen, Nudeln und Eiern gelebt. Aufgrund von bürokratischen Schwierigkeiten mit der Ukraine konnten meine Anträge nicht bearbeitet werden. Die Ämter in Deutschland sind so unlogisch…
Zukunft:
„Wenn das alles erledigt ist, werde ich mich selbstständig machen, oder eher gesagt, ich muss es. Als Angestellter werde ich hier in Deutschland niemals von meiner Rente leben können. Dafür habt ihr zu viel Mist gebaut…
Wie stellst du dir das vor?
„Soziale Medien sind mein Freund. Der Online-Handel fängt hier gerade erst an. Alles ist hipp und bunt, und ich als Metzger mit Halal-Produkten bin dabei… Es gibt so viele Möglichkeiten. Das wird schon klappen!“
Frau, Haus, Kinder:
„Erst einmal muss ich mein Geschäft aufbauen. Der Rest wird dann von alleine kommen. Ich sehe auch nicht, dass ich meinen Beruf hier in Deutschland als Unternehmer ausüben werde.“
Gleichaltrige:
„Die reden ständig über Work-Life-Balance, Wertesysteme und FFF. Sie haben noch keinen einzigen Tag wirklich gearbeitet und bestehen im Vorstellungsgespräch auf eine vier Tage Woche. Die ticken doch alle nicht richtig!“
Ohne Worte!
Ich war tief beeindruckt. Es war mir eine Ehre, Marcel!
Der entscheidende Unterschied?
Auf die Walz gehen!
Sich aus einer Komfortzone bewegen und das Unbekannte wagen und kennen lernen.
Meine Töchter waren nicht auf der Walz.
Aber sie kamen aus dem Ausland verändert und gereift wieder.
Danach findet man �sein Ding�.